Meine Erinnerung an die Rektoratsschule

- Max Zanders -

Quelle: "Stichling" - Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum des Werner-Jaeger-Gymnasiums 1982
in zeitgenössischer Rechtschreibung belassen.

 

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Ich kam Ostern 1938 in die Schule, die Zubringer zum Thomäum in Kempen war und wie die Oberschulen im 3. Reich mit Englisch in der Sexta begann. Latein gab es ab Quarta, für Mädchen gab es Französisch. Wir waren der 2. Jahrgang, der in dieser Form einheitlich geführt wurde. 2 Klassen darüber gab es in der Quarta noch die Möglichkeit, Latein oder Französisch zu wählen.

Schulleiter war Rektor Aloys Hüging, ein körperlich und charakterlich - wichtig, denn es war die Zeit des 3. Reiches - starker Mann, der bei Lehrern und Schülern- unumstrittene Autorität ausübte.

Zum Lehrerkollegium gehörten:

  • Konrektor Hugo Buschmann (Naturwissenschaften und Kunst: von ihm stammt auch das farbenfrohe Gemälde der Krippenrückwand in St. Sebastian),
  • Dr. Albert Fenkes (den "Bub": Latein, Deutsch, später nach Buschmanns Tod auch Mathematik),
  • Oberschullehrer Josef Roth (Englisch, Sport und Musik)
  • Frl. Maria Toups (Erdkunde, Englisch und Französisch). Von der Quarta an unterrichtete auch
  • Fr. Emmerich Geschichte und Englisch (?) an der Schule. Sie war die einzige Aktive für den Nazistaat,
    um die Zeit als sie einen Lehrauftrag übernahm, waren der geistliche Rektor (gest. 1941) bereits verstorben, und Dr. Fenkes leitete die Schule kommissarisch als Studienassessor. (Er wurde mit dem Eintritt in den Ruhestand (nach dem Kriege) Studienrat.)
    Etwa ab 1941 unterrichteten auch noch
  • Rektor Frigge (Physik, Chemie),
  • Frl Teggers und etwas später
  • Frl. Wiedemann.

Unsere Klasse bestand aus etwa 20 Schülern, alle aus dem kleinem und größeren Bürgertum am Orte; es gab eine Ausnahme, und die war ich, denn mein Vater war damals Samtweber bei Weyer u. Lentz. Das Schulgeld betrug monatlich 20 RM, für meine Eltern eine hohe Belastung, da mein Vater damals monatlich 200 RM verdiente und außer für seine Familie auch noch für seine betagten Eltern sorgen mußte. Ich wußte, daß Leistungen und keine Enttäuschungen erwartet, wurden. Auf dem Schulhof an der Burgstr. stand ein etwa 1m hoher Findling, daran angelehnt die Wasserleitung, hier wurden alle männlichen Sextaner nach bestandener Aufnahmeprüfung (schriftl. u. mdl. in Lesen, Schreiben, Rechnen) am ersten Schultag von den "größeren" Mitschülern getauft. Ich habe in Erinnerung, daß bei unserer "Taufe" Rektor Hüging wütend einschritt. Der Schulhof war für die etwa 60 Schüler der Klassen Sexta - Untertertia (mehr gab es nicht) ein kleines Paradies, denn an der Ostseite zog sich eine mannshohe Baracke hin, in der die Fahrräder abgestellt standen, in der Mitte, das von Hüging einmal ungewollt getaufte "Aschloch" mit den Aschenbehältern, der in den Klassen verbrannten Kohlen. Es gab genügend Ecken und Löcher sich mal zu verkriechen. Der Unterricht in Mathematik und Latein bei Hüging war äußerst streng und diszipliniert. Es wurde genau gearbeitet, die Aufgaben wurden ebenso genau überwacht. Wir hatten mehr oder weniger Angst, mit diesem Hünen im Priesterrock einmal in Konflikt zu geraten. Ich habe einmal erlebt, daß er einen Schüler einer höheren Klasse außer sich in der Weise verprügelte, daß er ein wahres Trommelfeuer auf dessen Rücken entlud. Im Übrigen schlug er sehr selten.

Ich gehörte zu den 4 Meßdienern, die im Rhythmus von 14 Tagen morgens 6.30 Uhr je eine Woche bei ihm die Messe dienten (zusammen mit K.J. van Kück, jetzt Pfarrer in Stolberg-Atsch). Mir liegt noch heute sein wuchtiger Schritt in den Ohren, wenn er zum Hauptportal hereinschreitend herannahte. (Wir hatten bis zum Tode von Rektor Hüging regelmäßig einmal die Woche Gottesdienst in der alten Kirche (ich meine, mittwochs).

Küster war damals in dieser Kirche der alte Egidius Dohmes. Er vergaß dies und das, was für uns Ursache permanentem Vergnügens war. Zu unserer Zeit spielte Walter Frohn die Orgel, Calcanten traten den Blasebalg, ebenfalls ein ehrenvoller Auftrag mit viel Jux.) Hatte ich eine gute Arbeit geschrieben, war er mir gegenüber eher kurz angebunden, war das Ergebnis etwas magerer, wirkte er gütig.

Rektoratsschule

Er starb übrigens an Magenkrebs, der wohl sehr schmerzhaft war. Das hinderte ihn nicht, bis etwa 1 Woche vor dem Tod zu unterrichten. Unter Einfluß starker Medizin kämpfte er vor der Klasse gegen den Schlaf und wohl auch gegen den nahen Tod. Ein wirklich starker Mann!

Der Lateinunterricht wurde selbstverständlich ganz von der Grammatik her aufgezogen. Das galt auch für den Lateinunterricht, den ich ab Quarta bei Dr. Fenkes hatte. Leider ging er auch seinen Deutschunterricht sehr vom Formalen an. Ich erinnere mich mit Unbehagen an die zahlreichen Wortwahlübungen. Für mich war das besonders strapaziös, weil in meinem Elternhaus um diese Zeit noch Plattdeutsch gesprochen wurde. Das erste Buch, das er mir förmlich aufzwang, war dann auch unter o.g. Gesichtspunkt gewählt. Es hat mich eher vom Lesen abgeschreckt (H. Löns ...).
Als wir im Sommer 1942 vom Kempener Direktor Bast unter diesem Aspekt geprüft wurden, ob wir würdig seien ins Thomäum übernommen zu werden, zeigte sich, daß wir 7 Jungen - die Mädchen hatten kein Latein - recht ordentliche Grammatikkenntnisse besaßen.

Es gab auch recht angenehme Fächer.
In Musik wurde nur gesungen. J. Roth bemühte sich weder um Notenkenntnisse noch um Harmonien. Spätestens in der Untertertia gehörte ich zu den Privilegierten, die wegen Stimmbruchs von "Ein Schiff streicht durch die Wellen" u.a. befreit waren.

Sport bestand aus Fußball und "Räuber und Gendarm". Wir marschierten dazu brav durch den ganzen Ort zu den Plätzen an der Wevelinghoverstr, oder in die Schulzzenburg. Dort vertrieben wir uns sommertags auch mit dem Sprint über 60m, dem Weitsprung u.a. Roth übte mit uns auch den sogenannten Fenstersprung (wohl eine Trainingsvariante für den Hochsprung). Dabei stieß ich einmal mit meinem Knie so gegen meine Nase, daß beängstigend viel Blut floß. Geholfen hat der Hallenwart Friedrichs, indem er mir seine Kappe aufgesetzt hat.

Mittagsunterricht hatten wir nicht.

In der Kempenerstr., gegenüber dem Doerkesstift, besaß die Schule einen Lehrgarten. Dort versuchte uns Herr Buschmann in die Fauna einzuführen.

Man kann zusammenfassend sagen: Bis zum Tode von R. Hüging war die Schule wohlgeordnet und es wurde sehr gut gearbeitet und erzogen. Danach gab es auch gewisse Mängel, die 1941 beim Übergang der Lobbericher nach Kempen zunächst dazu führten, daß die Aufnahme abgelehnt wurde. Nach Einspruch der Eltern ging es dann doch. Vielleicht war das auch so, weil in diesem Jahr die Prüfung in Kempen durchgeführt wurde. Wir wurden jedenfalls wieder in Lobberich geprüft.

Der Krieg und die Begegnung mit Nationalsozialismus, wie er sich in Lobberich für einen Schüler darstellte

Ich weiß noch genau, daß schon bei der Krise um die Tschechoslowakei große Angst herrschte, es könne zum Krieg kommen. Nicht anders 1939. Ich fürchtete, mein Vater werde noch einberufen. Alle einigermaßen aufgeschlossenen Schüler wußten spätestens als Quartaner, daß es in Lobberich Nazis und Gegner gab. Kein Lehrer trug das Parteiabzeichen solange Hüging lebte. Wie ich später erfuhr, war keiner in der NSDAP. Vermutlich standen alle in der Tradition des Zentrums. H. Buschmann hatte sich außerdem vor 1933 beim katholischen Arbeiterverein stark eingesetzt, Dr. Fenkes war bei der Theaterabteilung der Kolpingfamilie engagiert. Es war bekannt, daß Herr Roth gelegentlich den Mund gegen die Nazis auftat. Dies hinderte andererseits örtliche Parteigrößen nicht, ihre Kinder zur Schule zu schicken.

1941 wurde dann nach Hügings Tod einiges anders, als Frau Emmerich ins Kollegium kam. Sie unterrichtete bei uns Geschichte, was mich sehr interessierte. Sie ließ in ihre "Blut und Boden" getränkte Sicht der Dinge immer wieder etwas vom Führer einfließen. Aber sie verkaufte ihren Stoff gut. Ein Schüler trat später in die NAPOLA (Nationalpolitische Erziehungsanstalt) ein. Dort wurden NS-Führungskader geschliffen.
Mir ist nicht bekannt, daß Fr. E. denunzierte. Man wußte sicher im Kollegium, daß man den Mund zu halten hatte.

Bei Hünges gab es im alten Bierkeller auf der Kempenerstr. genügend Schutz für die ganze Schule bei evtl. Luftangriffen.
Wir haben zwar geübt, aber an eine Flucht aus der Schule, wegen eines Ernstfalles, kann ich mich für die Zeit bis 1942 nicht erinnern.

Alle Schüler (innen) - in unserer Klasse waren Leute aus Kaldenkirchen, Leuth, Breyell und Hinsbeck - waren ab 1938 Pflichtmitglieder des Jungvolks bzw. des BDM. Wir hatten einmal pro Woche Exerzierdienst- aber ohne Waffen - oder Heimabend. Ich erinnere mich nicht, daß die Schule die Teilnahme am Dienst überwacht hätte. Ein großes Ereignis waren für uns alljährlich die Reichsjugendwettkämpfe. Ich war einige Male Ortssieger. Es gab ein Abzeichen, darauf war ich mächtig stolz. Ich trug es wie das EK 1 (Eisernes Kreuz) auf dem Rock etwas nach unten versetzt. 1938 nahmen alle Lobbericher Pennäler an einem Kinderschützenfest mit Holzgewehren und d‘rum und d‘ran teil. Ganz sicher waren wir alle ganz stolz auf jeden Sieg, den unsere Truppen an den Fronten errangen. Aber auf Grund der Erziehung, die erfahren hatte, hatte ich auf der Straße Schwierigkeiten, einer vorbeigetragenen Fahne meinen Heil-Hitler-Gruß zu entbieten (ausgestreckter Arm). Ich erinnere mich noch sehr gut, wie gut es tat, wenn sonntags von der Kanzel ein mutiges Wort gesprochen wurde.

- mit freundlicher Genehmigung des Autors -


Weblink Geschichte der Schule auf der Webseite des Werner-Jaeger-Gymnasiums (Nachfolgeschule)