Rheinische Post - Grenzland - Kurier vom 24. Dezember 1994

Die Geschichte der einst beliebten Rokal-Modelleisenbahn aus Lobberich

Auf schmaler Spur über den Küchentisch

Von ULRICH SCHÄFER

NETTETAL. Sie galt als "kleinste Modelleisenbahn der Welt" und war in den 50er und 60er Jahren so bekannt wie die großen Konkurrenten Märklin und Trix. Viele begeisterte Väter und Söhne kannten den Werbespruch "raumsparend und vorbildtreu", es gab Zeiten, in denen die Nachfrage auf dem nationalen und internationalen Markt kaum zu befriedigen war. Dennoch konnte sich die Rokal-TT-Modelleisenbahn aus Lobberich nicht behaupten.

1971 kam ihr jähes Ende. Aufschwung und Niedergang der bekannten und lange Zeit beliebten Bahn sind gleichsam ein Stück Lobbericher Industriegeschichte.

Die Anfangsjahre der Rokal-Bahn sind untrennbar mit dem Namen Eugen Engelhardt verbunden. Der Diplom-lngenieur aus Chemnitz baute 1946 mit primitiven Mitteln die erste Lokomotive und stellte sie auf eine Gleisanlage aus gebogenen Gardinenstangen. In dem Lobbericher Unternehmer Robert Kahrmann fand der Tüftler, eigentlich kein Spezialist für Modelleisenbahnen, einen interessierten Partner.

Zwölf Millimeter

1949 stand der erste Zug auf den Gleisen. Die Spurweite betrug nur zwölf Millimeter, halb so groß wie die damals in Deutschland gebräuchliche HO-Spur. Das neue Maß nannte sich TT, stand für "table top" und kam aus Amenka. Der Vorteil: Man musste nicht gleich ein ganzes Zimmer für die Gleisanlage opfern, sie hatte Platz auf einem normalen Küchentisch.

Doch Engelhardts Zusammenarbeit mit Robert Kahrmann dauerte nicht lange. Es gab Krach im Unternehmen, der Ingenieur wechselte 1950 wieder in seinen alten Beruf als Niederspannungstechniker. Die Bahn aber wurde weiter entwickelt. Otto Gothe, der mittlerweile verstorbene Heinrich Burkhard und Heinz Holterbosch waren Rokal-Männer der ersten Stunde."Engelhardt hatte eigentlich nur eine Spielzeugbahn entwickelt, die richtige Modelleisenbahn entstand erst später-, erinnert sich Heinz Thieme (74), der 1948 als technischer Zeichner zu Rokal kam, in der Konstruktion arbeitete und 1956 die Fertigungsleitung übernahm.

Die kleinen Lokomotiven und Wagen wurden ihren großen Vorbildern immer ähnlicher, Kupplungen, Weichen und Gleiskörper kamen hinzu. Thieme und seine Kollegen hatten alle Hände voll zu tun. "Wir haben Tag und Nacht gearbeitet - bei einem Stundenlohn von 74 Pfennig. Fräsarbeiten mußten nachts erledigt werden, weil die Maschinen tagsüber für die Armaturen- und Vergaserfertigung gebraucht wurden. Überhaupt hatten es die "Eisenbahner" im Unternehmen nicht leicht. In der Gießerei waren die kleinen Zinkgußteile für die Loks nicht gerade beliebt. Dort arbeitete man mit Tonnenprämien und stellte lieber größere Stücke für die anderen Abteilungen her. Später kaufte Rokal die Druckgussteile von einer Nürnberger Spezialfirma.

Die Rokal-TT-Bahn machte dennoch Furore. Nachdem 1953 die erste Zugpackung mit dem"Rheingold- Express" auf den Markt kam, ging es schnell bergauf. Ludwig Bierl, der vom Konkurrenten Trix gekommen war, sorgte für die Umstellung von Wechsel- auf Gleichstrom. Die Züge "bockten" nun nicht mehr bei Richtungswechseln. 50 bis 60 Mitarbeiter hatte die Modellbahn-Abteilung in ihren besten Zeiten. Noch einmal soviel, zumeist Frauen, erledigten die Vormontage von Gleis und Wagen in Heimarbeit. Ein Kunststoffbetrieb im Sauerland lieferte die immer detailgetreueren Gehäuse. Doch trotz so bemerkenswerter Neuentwicklungen wie dem "Santa-Fe-Express, den Exportleiter Fritz Emme vor allem auf dem amerikanischen Markt plazierte, trotz jährlicher Präsentationen auf der Nürnberger Messe und erheblichen Anstrengungen durch Verkaufsleiter Hans Rameckers, gab es Ende der 60er Jahre die ersten Absatzschwierigkeiten.

Heinz Thieme: "Viele Einzelhändler nahmen uns übel, daß die Bahn auch über Versandhäuser wie Neckermann zu bekommen war." Eine ausgesprochene Rokal-Spezialität kam hinzu. Auch in Sanitärgeschäften, dort, wo das Unternehmen seine Armaturen verkaufte, wurden plötzlich Modellbahnen angeboten. Kundschaft und Fachhandel waren gleichermaßen irritiert.

Der Umsatz, im Vergleich zu anderen Abteilungen des Werkes ohnehin fast unbedeutend, ging weiter zurück. "Dabei war der Name Rokal einem breiten Publikum eigentlich nur durch die Modelleisenbahn bekannt geworden", sagt Heinz Thieme heute. Die Konjunkturkrise 1961/68 riß auch .Rokal in den Strudel. Eine Kooperation mit dem Ost-Berliner VEB Zeuke & Wegwerth, der fortan auch Rokal - Modelle baute, konnte den Niedergang nicht aufhalten. Es war die Zeit, als Autorennbahnen wie "Carrera" den Modelleisenbahnen im Kinderzimmer den Rang abliefen. 1969 erschien der letzte Katalog, zwei Jahre später verkaufte Rokal die Modellbahn-Produktion an die Firma Röwa in Unterensingen am Neckar. Aber auch sie konnte die Bahn nicht mehr retten.

1974 ging Röwa in Konkurs, im gleichen Jahr schlitterte auch die Rokal GmbH, die einmal bis zu 2700 Leute beschäftigt hatte, in die Pleite.

Der Name blieb

Geblieben ist nur der Name. Die Rokal-Armaturen GmbH, bei der auch Heinz Thieme eine neue Stelle fand, ging später in der Firma Hansa auf, die Vergaser-Fertigung wurde von Pierburg übernommen. Firmengründer der Robert Kahrmann hatte den Untergang seines Werkes nicht mehr erlebt. Er starb im Jahre 1972.

Die Rokal-Bahn aber lebt bei etlichen Sammlern weiter. Auf Ausstellungen, wie zuletzt in der Dorenburg oder im vergangenen Jahr in Kommern, fahren wieder Züge, bestaunt von Liebhabern. Und so manch einer fühlt sich beim Anblick von TEE-Zügen oder der Schweizer Gotthard-Lokomotive in seine Kindheit zurück versetzt.


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