Die Geschichte der Bruderschaft St. Sebastianus - St. Marien Lobberich bis zum Jahre 1900

von Marcus Optendrenk


Bruderschaften gehören auch heute noch zu den wichtigsten Institutionen kirchlichen Lebens in einer katholischen Gemeinde. Sie verbinden religiöses Bekenntnis, soziales Engagement und Geselligkeit.

Das 475-jährige Bestehen der St. Marien-Junggesellen-Bruderschaft bietet Veranlassung, die Entstehung und Entwicklung des kirchlichen Bruderschaftswesens in Lobberich unter sich wandelnden historischen Gegebenheiten zu untersuchen und damit vielleicht auch einen Beitrag zum besseren Verständnis der Gegenwart zu leisten. Dabei soll die Beschränkung auf verläßliche Zeugnisse und zentrale Anliegen Vorrang vor statistischer Vollständigkeit haben.

Die Gesellschaft des Mittelalters

Entstehung des Bruderschaftswesens

Die Gesellschaft des Mittelalters in Deutschland war durch feudale Strukturen geprägt. An der Spitze eines Territoriums stand der Landesherr, der Teile seines Landbesitzes als Lehen  an Gefolgsleute abgab. Diese wiederum teilten ihr Land als  Lehen an ihre Untertanen aus oder ließen es von leibeigenen Bauern bewirtschaften. So kam eine stark hierarchisch geprägte Gesellschaftsstruktur zustande.

Eine Ausnahmeerscheinung innerhalb dieser agrarischhierar chischen Ordnung stellten die Städte dar, die sich seit dem Hochmittelalter dort entwickelten, wo Fürsten oder Bischöfe ihre Residenzen errichteten. Um diese Residenzen siedelten  sich Untertanen an, die sich auf die Herstellung bestimmter  am Hof benötigter Produkte spezialisierten, so daß im Laufe der Zeit Strukturen entstanden, die sich von denen der Umgebung sichtbar unterschieden. Die schon früh auftauchenden  Stadtmauern symbolisieren - abgesehen von ihren Verteidigungsaufgaben - auch die Abschottung der sich entwickelnden Stadt von ihrem Hinterland.

Stadt und Land

Mit dem Anstieg der Bevölkerungszahl und dem sich mehren den Reichtum der Stadt wuchs natürlich auch ihre Anziehungskraft. Wegen der drohenden Konkurrenz von außen schlossen sich in vielen Städten die ortsansässigen Handwerker in Organisationen zusammen, die ihre Interessen vertreten und ein übermäßiges Anwachsen der Zahl der Mitbewerber verhindern sollten, den Zünften oder Gilden. Ihre Funktion wird häufig mit der eines Kartells verglichen, weil sie mit Zunftzwang, Zunftkauf, Produktions- und Absatzmonopol unübersehbare Ähnlichkeiten mit den Kartellen unserer Zeit besaßen. Mit den Zünften entstand innerhalb der Städte bald ein neuartiges Machtgeflecht, das gleichzeitig ein stark berufsbezogenes Denken innerhalb der Bürgerschaft schuf.

Der Stadtbewohner lebte in enger örtlicher Verflechtung mit kirchlichen Institutionen nach dem Rhythmus des Kirchenjahres mit seiner Vielzahl an Feiertagen, Festen und Gedenktagen und nach den durch Glockengeläut gesetzten Einschnitten kirchlicher Tageseinteilung. Es gab äußerst intensive Verbindungen zwischen religiös-kirchlichem und weltlichem Lebensbereich. Entsprechend groß war die Bereitschaft der Menschen, die von der Kirche angebotenen Gnadenschätze zur Abwehr sonst unbeherrschbarer Gefahren in Anspruch zu nehmen. Der Mensch des Mittelalters und der frühen Neuzeit erfuhr die Gefahr des Todes ständig durch Seuchen, Hungersnöte und äußere Gewalt, was zu einer permanenten Furcht vor einem plötzlichen Tod führte.

Die Sorge um das ewige Leben

Dies schlug sich in der Sorge um das eigene Seelenheil, sowie um das der Angehörigen, Verwandten und Vorfahren nieder, weshalb man versuchte, die eigene Sündenlast durch gute Werke und die Fürbitte im Gebet zu erleichtern. Wohlhabendere Bürger versuchten, die kirchlich angedrohten Sündenstrafen durch fromme Stiftungen (als Gottesdienst- oder Almosenstiftungen) "abzuarbeiten". Solche Stiftungen sind in den großen deutschen Reichsstädten schon im 12./13. Jahrhundert weit verbreitet gewesen, in den kleineren Städten (wie etwa im benachbarten Dülken) tauchen sie erst Ende des 14. Jahrhunderts auf. Diese Zeitverschiebung ist damit zu erklären, daß viele spätmittelalterliche Entwicklungen wegen der Abgeschlossenheit der Städte nach außen hin in den agrarisch strukturierten Gebieten erst deutlich später übernommen werden.

Erst recht gilt eine solche Aussage für ein aus mehreren Honschaften mit einem kleinen Dorfkern bestehendes Gemeinwesen wie Lobberich, Dülken und Süchteln auch die gebräuchlichste Form der Stiftung, die jährliche Totenmesse am Todestag des Verstorbenen, erforderte ein nicht unerhebliches Kapital. Um diesem als unerträglich empfundenen Zustand ein Ende zu bereiten, bildeten sich aus den Reihen der Zünfte im Spätmittelalter verstärkt Gebetsverbrüderungen und Bruderschaften (Fraternitäten), die das Totengedächtnis, das Begräbnis und soziale Aktivitäten wie Almosengaben zu ihrer Aufgabe machten. Daneben betrachteten sie die Heiligenverehrung und die Geselligkeit bei Mählern und Trinkgelagen als Zweck ihrer Existenz.

Aus der näheren Umgebung Lobberichs sind in dieser Hinsicht besonders die Gründungsurkunden der Dülkener Eligiusbruderschaft (1433) und der Süchtelner Barbarabruderschaft (1457) aufschlußreich. Die Aufgabe der Eligiusbruderschaft bestand darin, eine Wachskerze in der Pfarrkirche zu unterhalten, die Maria, Eligius und dem Pfarrpatron Cornelius geweiht war, den Gottesdienstbesuch am Eligiustag sicherzustellen und für ein ordentliches Begräbnis ihrer Mitglieder zu sorgen, falls die Angehörigen dazu finanziell nicht in der Lage waren. Eine direkte Verbindung zu einem bestimmten Handwerk ist zu dieser Zeit noch nicht auszumachen.

Anders bei der Gründung der Barbarabruderschaft, die sich aus Schneidern "binnen den kirspel Suchtelen" rekrutierte. Die Begehung des Barbaratages (4. Dezember) und die Bestattung der Toten ist nach der Gründungsurkunde auch hier der Anlaß des Zusammenschlusses.

Wenn uns auch für die Lobbericher Bruderschaften keine derartigen Gründungsurkunden erhalten sind, so ergibt sich doch aus jüngeren Statuten, die an die jeweiligen Gründungsstatuten angelehnt sein dürften, daß ihre Anliegen durchaus vergleichbar sind.

Erste urkundliche Erwähnung (1471)

Parallel zu den großen privaten Stiftungen entstand ein Phänomen, das sich nur aus der mittelalterlichen Entwicklung selbst erklären läßt: das Benefiziatenwesen.

Spricht Peter Norrenberg in seiner Geschichte Dülkens davon, bereits 1407 habe es in Dülken ein Gasthaus für Arme gegeben

und 1452 tauchten die ersten urkundlich erhaltenen Meßstiftungen auf, so setzt die verläßlich dokumentierte Entwicklung für Lobberich erst etwa ein halbes Jahrhundert später ein.

Die Wurzeln der Bruderschaft

Die Stiftung blieb als Heilsweg den städtischen Unterschichten und weiten Teilen der Landbevölkerung verschlossen, denn

Die Meßstiftung

Da mit der Stiftung von Kirchen, Altären und Landgütern zugunsten einer Pfarrei oder eines Klosters häufig auch die Sorge um das eigene Seelenheil verknüpft war, verlangten die Stifter, daß zu bestimmten Zwecken eine gewisse Zahl von Messen gelesen wurden. Nicht selten wurde diese Aufgabe nicht den Ortspfarrern übertragen, sondern "Privatgeistlichen", die neben dem Altardienst durch Stiftungen zu bestimmten Diensten verpflichtet waren. Die meist einem Altar zugeordneten "Vikare", "Benefiziaten" oder "Altaristen" bezogen ihren Unterhalt aus dem Stiftungsvermögen und aus Zuwendungen Dritter, waren sie doch häufig unversorgte Nachkommen ortsansässiger Familien, für deren Existenzgrundlage auf diese Weise gesorgt wurde. So erscheint es nur folgerichtig, daß der Stifter oder Patron des Altars den Geistlichen "präsentierte", d.h. dem Bischof verbindlich zur Einsetzung vorschlug.

Erstes Lobbericher Zeugnis

Bruderschaft und Brudermeister

Die Schützenbrüder

Mit einer solchen Präsentation beginnt auch die schriftlich erhaltene Geschichte der Lobbericher Bruderschaften. In einer Urkunde aus dem Jahre 1471 errichten die Eheleute Johann von Besell, genannt von Reyde, und seine Frau Katherina von Bocholtz die Vicarie des "St. Antonius-, Fabianus- und Sebastianus-Altars". Als Stiftungsvermögen brachten die Eheleute das Lehensgut "op der Dellen" in Hinsbeck ein, das Johann von Besell am 30. November 1466 von den Eheleuten Heinrich und Elsa von Krickenbeck gekauft hatte. Die Stiftung gaben die Verfügenden in die Obhut der offensichtlich mit dem Altar namensgleichen Bruderschaft.

Der Brudermeister war dafür verantwortlich, daß das Stiftungsgut "op der Dellen" gut verwaltet und der Erlös oder die Pachtzinsen an den Priester gegeben wurde. Stiftungszweck ist laut Urkunde die Abhaltung von Messen und Gottesdiensten durch einen der Bruderschaft "genehmen Priester". Hieraus ist zu entnehmen, daß der Lobbericher Bruderschaft, wie übrigens auch dem Stifter, ein Präsentationsrecht gegenüber dem Bischof zustand. Die ausdrückliche Formulierung, die Stiftung in die Obhut der Bruderschaft zu geben, läßt erkennen, daß die Bruderschaft zum Zeitpunkt der Stiftung bereits bestanden hat, ja vielmehr bereits ein wichtiger Teil des kirchlichen Lebens war. Sonst wäre der Stifter sicherlich auf die Gründung einer Bruderschaft aus Anlaß der Errichtung des Benefiziums eingegangen. Es scheint daher nicht unwahrscheinlich, daß der Gründungszeitpunkt der Lobbericher Bruderschaft etwa parallel zu den Süchtelner und Dülkener Bruderschaftsgründungen anzusetzen ist.

Doch wer waren die Männer, die damals die Lobbericher Bruderschaft bildeten?
Bei der Beantwortung dieser Frage hilft erneut eine Parallele zur Nachbargemeinde Dülken. Dort waren es Teile der ortsansässigen Handwerkerschaft gewesen, die sich zu einer kirchlichen Vereinigung in Form der Eligiusbruderschaft zusammengeschlossen hatten. Nun war Dülken in seiner wirtschaftlichen Entwicklung als Stadt der Umgebung deutlich voran. Von einem Dorf wie Lobberich kann man nicht annehmen, daß es zum Ende des 15. Jahrhunders bereits eine ausgeprägte Handwerkerschicht gab, die sich in Form einer Bruderschaft kirchlich organisiert hätte. Wohl aber ist zu vermuten, daß es sich um eine vergleichbare Bevölkerungsgruppe handelt, etwa im Ortskern ansässige, weitgehend als Bauern tätige Personen, die in enger räumlicher und geistiger Verbindung zur alten Pfarrkirche und dem Kirchenbetrieb standen. Leider sind uns die Namen von Brudermeistern und Mitgliedern bis ins 17. Jahrhundert weitgehend nicht erhalten, so daß eine genaue Untersuchung diesbezüglich nicht möglich ist.

Durch eine weitere Stiftung erhöht Johann von Besell im Jahre 1480 die Dotierung der Vikarie und verfügt für sich und seine Nachkommen, daß der Brudermeister der St. Antonius-, Fabianus- und Sebastianusbruderschaft von den zum Unterhalt des Vikars bestimmten drei Morgen Land für Meß?Stiftungen einen Malter (ca. 120 Liter) Roggen als jährliche Pacht erhalten soll. Auch danach hat sich der Stifter des Benefiziums sehr angelegentlich um dessen Wohl gesorgt, wobei der Eindruck entsteht, als sei ihm im Laufe der Jahre klar geworden, daß das ursprüngliche Stiftungsvermögen für den Unterhalt des Vikars viel zu gering war. So verwundert es nicht, im November 1480 eine weitere Stiftung von insgesamt fünf Erbmaltern (Malter = die Menge, die man in einem Mahlgang mahlen kann) Roggen vorzufinden, die Johann von Besell zuvor von mehreren Bauern der Umgebung gekauft hatte sowie mehrere Stücke Land, die er unter die Verwaltung der Bruderschaft gestellt hat. Eine erneute Aufstockung des Stiftungsvermögens ist für den 24. Dezember 1481 belegt, als wieder Johann von Besell, der alleinige Stifter, vier Malter und ein Sümer (l/4 Malter) Roggen Erbpacht vom Gut "op der Dellen" in Hinsbeck zur Ausstattung des Altares in die Obhut der Bruderschaft gibt. Insgesamt erscheint die Beurkundungstätigkeit, die den neuen Altar und die zugehörige Vikarie zum Gegenstand hat, in dieser Phase sehr rege gewesen zu sein, gibt es doch allein für die Jahre 1471-86 vierzehn erhaltene Urkunden.

Die Vikariatsstiftung erhielt ihre endgültige Form am 13. Mai 1486 nach dem Tod des Stifters, als die Schöffen, Geschworenen, Kirch?-und Brudermeister Lobberichs die Stiftung mit einer Gesamtdotierung von 18 1/2 jährlichen Erbmaltern Roggen zugunsten dreier wöchentlicher Erbmessen bestätigen. Diese Messen sollten auf dem Altar an der Südseite der Lobbericher Kirche gelesen werden, vor dem der Stifter, Johann von Besell, genannt von Reyde, und seine Ehefrau begraben lagen.

Die Aufgabe der Bruderschaft

Aus diesem Dokument ist auch die Funktion einer Altarstiftung und die Aufgabe der Bruderschaft in diesem Zusammenhang deutlich ablesbar. Durch die drei wöchentlichen Messen des Vikars, ein durch die Bruderschaft zu feierndes Jahrgedächtnis und den täglichen Grabbesuch des Pfarrers, der dort Gebete verrichten mußte, sollte alles Erdenkliche für die Seelenruhe der Verstorbenen unternommen werden. Die Bruderschaft übernahm die Verwaltung des Stiftungsvermögens, die Auszahlungen an Vikar und Pastor und die Organisation des Jahrgedächtnisses. Sie war gewissermaßen Steuer? und Finanzverwaltung des Benefiziums.

Der pfeildurchbohrte Sebastian auf dem Schultheiß? und Schöffensiegel unter einer Urkunde, die im April 1778 in Lobberich gefertigt wurde.

Marienverehrung in Lobberich

Neben der Bruderschaft, die für den St. Antonius-, Fabianus- und Sebastianusaltar verantwortlich zeichnete, bildete sich bald eine zweite Bruderschaft, die sich dem Marienaltar an der Nordseite der Lobbericher Kirche widmete.

Die Marienverehrung fand ihren Niederschlag im täglichen Leben in Kunstwerken, die ihrerseits von alters her die christliche Frömmigkeit angeregt und beeinflußt haben. Das Marienbild sollte, wie jedes andere christliche Bild, primär den Blick für die übernatürliche Wirklichkeit und die Heilsgeheimnisse öffnen. Die Verehrung Mariens erfuhr im Spätmittelalter wie auch die Heiligenverehrung insgesamt eine außerordentliche Ausdehnung. Mit der Heiligenverehrung verbunden war ein zum Teil absonderliche Formen annehmender Reliquienkult und die Durchführung zahlreicher Wallfahrten. Die Verehrung Mariens als Jungfrau erhielt vor allem für das Stadtbürgertum, alle Stände und Schichten umfassend, eine besondere Bedeutung.

Ihren besonderen Ausdruck fand die Marienverehrung in zahlreichen Kirchen, Kapellen und Altären, die ihr geweiht wurden, in Votivgaben, Gottesdiensten und Rosenkränzen sowie in der Gründung von Bruderschaften und der Abhaltung von Wallfahrten zu Orten der Marienverehrung, wie ihn am Niederrhein beispielsweise Kevelaer darstellte. Der Wunsch nach einer Verehrungsstätte für die Jungfrau Maria machte auch vor Lobberich nicht halt. Wenn auch der Ursprung und die anfängliche Dotierung des Lobbericher Marienaltars nicht genau überliefert sind, so läßt sich die von Finken behauptete erste urkundliche Erwähnung einer St. Marien?Bruderschaft im Jahre 1516 doch durchaus in die Grundtendenz dieser Zeit einordnen. Eine weitere urkundliche Nachricht gibt Finken für das Jahr 1531 an, wo die Bruderschaft "St. Anna, Maria und Crucis?Bruderschaft" geheißen habe. Zwar sind uns beide Urkunden nicht erhalten, doch auch die Erwähnung der hl. Anna paßt in diese Jahre, denn sie war seit dem 15. Jahrhundert gewissermaßen zu einer"Modeheiligen" vieler Gegenden geworden.

Ihre erste bis heute erhaltene Erwähnung findet die Marienbruderschaft in der Stiftungsurkunde des Kanonikers zu St. Gereon in Köln, Simon auf dem Strauch (op dem Struck) aus dem Sassenfeld im Jahre 1540. In dieser Urkunde stiftet er auf dem Altar "beatae virginis Mariae" (der seligen Jungfrau Maria) in der Pfarrkirche zu Lobberich eine Wochenmesse, die von einem Priester gelesen werden sollte, der aus seiner Familie stammte, oder von einem anderen Priester aus Lobberich, für den sich der Stifter das Präsentationsrecht vorbehielt. Außerdem stiftete er für sich und seine Eltern ein Jahrgedächtnis. Als Dotierung stellt er eine jährliche Erbrente von 5 Goldgulden zur Verfügung. Bei dieser Stiftung handelt es sich nicht um die Begründung eines Altares oder eines Benefiziums, sondern um eine Meßstiftung, die mit der Intention erfolgte, die Seelenruhe des Stifters zu sichern. Die eigentliche Begründung des Benefiziums muß folglich zeitlich früher angesiedelt werden, wobei nicht ausgeschlossen ist, daß Simon auf dem Strauch (wie Johann von Besell bei Sebastianusalter) auch Stifter des Benefiziums gewesen ist, da seine Schenkungen zum Unterhalt des Vikars und Lehrers aus dem Jahre 1532 (500 Gulden) und die Gründung einer Studienstiftung zeigen, daß er sowohl finanzstark als auch grundsätzlich zahlungswillig war. Zur Sicherstellung des Bestandes der Vikarie und zur Verbesserung des geringen Stiftungsvermögens hat der vermutlich erste Pfründner des Marienaltars, der Vikar Paulus then Broick aus Lobberich, 1544 sein im Dorf gelegenes Haus (wahrscheinlich die alte Kaplanei an der Süchtelner Straße) geschenkt.

Damit war die Existenz des Benefiziums, das durch den Brudermeister (möglicherweise waren es zu diesem Zeitpunkt noch zwei, nämlich einer Marien? und einer Annabruderschaft) verwaltet wurde, gesichert.

Armenfürsorge

Daß schon früh die Versorgung von Armen eine wichtige Aufgabe der Bruderschaften darstellte, erkennt man daran, daß aus den Jahren 1561, 1562 Schuldbekenntnisse (Zahlungszusicherungen) von Lobbericher Bürgern erhalten sind, durch die sie sich verpflichteten, "ses (fynf) eynkel goltgulden en eyn ort guldens alle j air den kyrckmeisteren hy to Lobroyck... in behoeff der huesarmen want die sullen von der baeten gekleyt werden" zu zahlen (sechs bzw. fünf Goldgulden jedes Jahr an die Kirchmeister zu Lobberich zu zahlen, damit die Hausarmen eingekleidet werden können).

Die Landesverteidigung

Friedliche Zeiten und Geselligkeit

Schutz der Prozessionen in Lobberich

Die Lobbericher Bruderschaften und das niederrheinische Schützenwesen

Neben den kirchlich gebundenen Vereinigungen, die sich karitativen Aufgaben und der Förderung des kirchlichen Lebens verschrieben hatten, gab es seit dem 14. Jahrhundert andere Vereinigungen, die sich ebenfalls "Bruderschaften" nannten, ihren Aufgabenschwerpunkt aber in der Verteidigung des Dorfes und der Gegend sahen: die Schützengesellschaften.

Ihre Existenz ist Ausdruck der Notwendigkeit, sich über die vom Landesherrn zur Verfügung gestellte Armee (die meist aus Söldnern bestand) hinaus selbst zu verteidigen. Landwehr und Landesdefension sind in diesem Zusammenhang die bekanntesten Schlagworte. Im Laufe der frühen Neuzeit (seit dem 16. Jh.) wurde es in vielen Teilen Deutschlands üblich, daß der Landesherr einen Teil seiner"Landeskinder" zur Verteidigung seines Territoriums ausbilden ließ: das verhieß eine Verringerung der Kosten für die Söldnerheere und sollte zu einer stärkeren Identifikation der Bevölkerung mit den Zielen und Vorstellungen des Landesherrn führen. Diese Zeit kann man als die erste Blütezeit des Schützenwesens am Niederrhein ausmachen. Denn die Landbewohner, die von der Auswahlkommission des Territorialherrn dazu ausersehen waren, sich sonntags im Umgang mit den Waffen zu üben, schlossen sich häufig zu Schützengesellschaften zusammen, die auf eine "eigene Identität" ihrer Mitglieder und ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl hindeuten.

In friedlichen Zeiten trat naturgemäß (sieht man einmal von einigen sonntäglichen Schießübungen ab) das Element der Verteidigung von Haus und Hof hinter die Pflege der Geselligkeit zurück. Verfolgt man aber die Geschichte des Niederrheins in dieser Epoche, so steht doch der Gedanke der Wehrhaftigkeit weitgehend im Vordergrund: die religiösen Auseinandersetzungen der Gegenreformation, der Freiheitskrieg der Niederlande (1572?1588), der Jülicher Erbfolgestreit (ab 1609) und der Dreißigjährige Krieg ließ die Menschen kaum zur Ruhe kommen. Insofern hatte diese zweite Ouelle des Bruderschaftswesens eine fast täglich erfahrbare Existenzberechtigung.

Daß es für Lobberich gleichwohl keine Hinweise auf die Existenz einer solchen Schützenbruderschaft gibt, wirft die Frage auf, ob nicht die ursprünglich rein kirchlichen Bruderschaften einen Teil ihrer Aufgaben erfüllt haben. Sicher ist, daß seit der Zeit der Gegenreformation (nach 1530) bei Prozessionen das Allerheiligste gegen "Glaubensfeinde" geschützt werden mußte. Dokumentiert wird dies noch heute durch die symbolische Begleitung der Monstranz durch Offiziere der Sebastianus/St. Marien?Bruderschaft bei der Fronleichnamsprozession. Auch für eine Begleitung von Wallfahrten nach Aachen und später nach Kevelaer gibt es zahlreiche Hinweise. Dagegen wissen wir nichts über darüber hinausgehende militärische Aufgaben der St. Sebastianus? oder der St. Marienbruderschaft. Wahrscheinlicher scheint es, stellt man spätere Verteidigungsmaßnahmen wie gegen die Franzosen zwischen 1750 und 1770 in Rechnung, daß die Zivilgemeinde für die Verteidigung des Dorfes und der Honschaften zuständig war. Daß von diesen Maßnahmen auch Mitglieder der Bruderschaften betroffen waren, muß angesichts der geringen Größe Lobberichs und der Tatsache, daß die Bruderschaftsmitglieder einen wichtigen Teil der wehrfähigen Bevölkerung darstellten, als Die kirchlichen Bruderschaften blieben aber als Institutionen ausschließlich ihrem religiösen Ursprung verhaftet.

Die Statuten von 1780

Selbstverständnis

Die Statuten beginnen mit einer Einleitung, die einiges über sei damit der Zweck der Bruderschaft und das Selbstverständnis der Bruderschaft in der Zeit des späten Absolutismus (der absoluten Adelsherrschaft im 17. und 18. Jh.) verrät. Die Verfasser der Statuten sehen sich in der Tradition derjenigen Vorfahren, die sich zusammengefunden haben, um "das Allerheiligste Sacrament Des Altares so wohl als dessen fromme Begleiter mit Wehr und Wafen, ja mit Da

dafür gewesen, daß man sich seit dieser Zeit auch im Schießen geübt habe, "und dies iß der erste Ursprung der sogenennten Schützenbruderschaften, zu welchen die hiesige S.Sebastiani Bruderschaft auch gehöret. " Aus dieser Darstellung ist zu entnehmen, daß die Lobbericher "Schützen" sich ausdrücklich nicht in die Gruppe der weltlichen Schützengesellschaften ein ordnen lassen wollten. Für sie stellte gerade die enge Verbindung zur katholischen Kirche den Sinn ihres Daseins dar.

Gleichzeitig wird die alte Beziehung der Bruderschaft zur Familie von Bocholtz betont, die "der katholischen Wahrheit inniglich allzeit ergeben", alles Erdenkliche für den Schutz und die Verehrung des "Würdigsten Sacrament des Altares" getan habe. Wenn auch der Hinweis darauf fehlt, daß die Familie von Bocholtz durch ihre Stiftungen und die Übertragung der Stiftungen an die Bruderschaft für deren Bestehen wesentlich mitverantwortlich ist, so läßt sich doch unschwer erkennen, für wie wichtig man den ortsansässigen Adel hielt: er war "von uralten Zeiten her sicher gelten

Patron und Beschützer " der Bruderschaft gewesen. Dies verwundert kaum, denn die Familie von Bocholtz hat sich auch in den Wirren des 16. Jh. als Verfechter des Katholizismus einen Namen gemacht (vgl. z. B. Th. Optendrenk, Rohr im Winde oder Fels in der Brandung? - Reiner von Bocholtz, Fürstabt von Corvey 1555 -1585, in: Th. Optendrenk (Hrsg.) Lobberich ? Ein Kirchspiel an der Nette, Nettetal 1987 S. 105 ? 113).

Die älteste erhaltene Satzung der St. Sebastianus-Bruderschaft stammt aus dem Jahre 1780. Sie weist in einigen Teilen auf eine ältere, angeblich 1729 verabschiedete Satzung hin.

Nach diesem Rückblick auf die eigenen Ursprünge richten die Verfasser der Statuten ihren Blick nach vorne: Zwar sei die Zeit der mit Waffen geführten Glaubenskämpfe vorbei, doch

Die Sorge um das In tiefer Sorge um das Heil der eigenen Seele habe man sich zusammengefunden, um die jährliche Fronleichnamsprozession zu begleiten und damit einen Beitrag zur Verehrung des Allerheiligsten Sakramentes zu leisten. Die Übung mit Waffen ist in den Augen der Bruderschaft nur ein zeitgebundenes Phänomen der Reformationszeit gewesen, wodurch sich die Seba? stianer erneut von den weltlichen Schützenbruderschaften distanzieren.

Der Vogelschuß beim Schützenfest ist somit nur als ein Relikt aus "vergangenen, stürmischeren Tagen" zu verstehen, das ohne militärische Ausbildungsintentionen war und daher dem geselligen Teil des Bruderschaftslebens zugeordnet wurde. So sind auch die Teile der Statuten zu verstehen, die sich mit Regeln und Ablauf des Vogelschusses beschäftigen. Schließlich findet bei den meisten Bruderschaften im Anschluß an den Vogelschuß das Gelage statt, das traditionell eine wichtige "gesellschaftliche" Rolle spielte.

setzung ihres eigenen Lebens zu schützen

Der Aspekt des Schutzes von Prozession (besonders der Fronleichnamsprozession) und Wallfahrt stehen in der Erklärung des eigenen Ursprungs im Mittelpunkt. Die eigentliche Wurzel, die Betreuung der Meßstiftungen und Benefizien (sowie der zugehörigen Vikarien) seit dem späten 15. Jh., ist vor dem alles religiöse Leben erschütternden Konfessionskampf Reformation Gegenreformation weitgehend in Vergessenheit geraten. Wie stark der Einfluß dieser Epoche (1517 ? ca. 1650) gewesen ist, zeigt auch die (vermutlich zutreffende) Behauptung, die Verteidigung des "Hochwürdigsten Sacramentes" sei der Grund


Gute Vorsätze und Realität

Die Verwurzelung in der Kirche

Daß nicht alle guten Vorsätze, nicht jede Berufung auf den katholischen Glauben gleich einen guten (seinen nächsten liebenden) Christen hervorbringt, bestätigen diese Statuten nachdrücklich. Offenbar war zur Disziplinierung der Brüder manchmal nur der Griff in deren Geldbeutel geeignet. Die zahlreichen Vorschriften für die Brüder sprechen in dieser Hinsicht eine deutliche Sprache. Eine "Seuche" besonderer Art scheint das Glücksspiel gewesen zu sein. Die Statuten wollen dem entgegenwirken und legen daher fest:

"Ist bei der Bruderschaft zugelassen nur um 1 Stüber zu bügeln, zu tuppen oder um 5 Füchs zu schwarwenzeln. Denen also, die um mehr Geld spielen, soll vom Brudermeister das Geld abgenommen und zu Heiligen Werken employret werden."

Mit der Androhung finanzieller Sanktionen scheint sich die Bruderschaft auch sonst nicht besonders schwer getan zu haben. Für die Verursachung und Unordnung und Chaos beim gemeinsamen Essen war eine Strafe von 3 Stübern vorgesehen. Abwesenheit von Bruderschaftsmessen und Begräbnissen verstorbener Brüder wurde ebenso bestraft wie die Nichteinhaltung der Schießordnung beim Vogelschuß.

Besonders drastisch war die Bestrafung in folgendem Fall: "Es sollen zur Bruderschaft geschlagen werden die sich in Ernst streitig Zankende in 5 Stüber, die sich Scheltende als Schupjack, Hundsfut und dergleichen in 10 Stüber, die sich Schlagende der Herrschaftlichen Amendens (Geldstrafe) vorbehaltlich in 30 Stüber."

Bedenkt man, daß bei der Erarbeitung einer neuen Satzung überflüssig gewordene Regeln meist weggelassen bzw. für unwahrscheinliche Situationen keine eigene Regel entwickelt wird, dann dürften die beispielhaft genannten Vorschriften auch eine sehr reale Sorge der Bruderschaft dieser Zeit widerspiegeln. Danach hat auch in der kirchlich gebundenen Bruderschaft nicht immer christliche Nächstenliebe den Ton angegeben. Wie ausgiebig die Strafandrohungen allerdings in die Tat umgesetzt werden mußten, ist nicht mehr feststellbar. Dazu fehlen uns die erforderlichen schriftlichen Vermerke von Brudermeistern oder anderen Mitgliedern der Bruderschaft.

Insgesamt kann man die Statuten, die sich selbst "Ausführlicher Regul der Löblich Sebastianischen Bruderschaft zu Lobberich" nennen, als ein Zeugnis dafür betrachten, wie sehr sich die Bruderschaft der katholischen Kirche verhaftet sah und wie eng auf der anderen Seite die Verbindung des Hauses Bocholtz zum kirchlichen Leben der Lobbericher Gemeinde war.

Die Säkularisation

Bürgermeister Heinrich Haanen

Die Entwicklung der Bruderschaft nach der Französischen Revolution

Die Auswirkungen der Französischen Revolution von 1789 wurden seit 1794 auch am Niederrhein spürbar. Nach dem Einmarsch der Franzosen und der Eingliederung des Rheinlands in das napoleonische Frankreich gehörte Lobberich zum Roerdepartement, dessen Präfekt in Aachen residierte.

Die Franzosen versuchten schon bald, neue Geldquellen zur Finanzierung der eigenen Eroberungskriege zu erschließen. Dazu erschien die katholische Kirche, die über großen Landbesitz verfügte, als das geeignete "Opfer". Mit der Verstaatlichung der Kirchengüter und deren Verkauf tat man sich jedoch schwerer als von der Präfektur erwartet worden war. Dies lag vor allem daran, daß den überörtlichen Verwaltungen von seiten der Gemeinden häufig keine oder nur unvollständige Verzeichnisse der Kirchengüter zugesandt worden waren. Da aber selbstverständlich nur registriertes Land verkauft werden konnte, wurden der Kirche dadurch viele Güter erhalten.

Hervorgetan hat sich in dieser Beziehung auch der Lobbericher Bürgermeister Link Haanen, über dessen Sympathien für die Kirche es viele Nachweise gibt. Er war beispielsweise als Kirchenmeister noch kurz vor seiner Ernennung zum Bürgermeister für die Verwaltung des Kirchenvermögens verantwortlich gewesen. Aber auch aus bruderschaftlichen Quellen wissen wir einiges über ihn. Aus dem Jahre 1780 existiert eine Platte Königssilber, die Heinrich Haanen als Junggesellenkönig ausweist (siehe Abbildung der Platte Seite 32). 1791 war er dann auch König der Sebastianer. Berücksichtigt man Haanens Werdegang zwischen 1780 und dem Ende der Franzosenzeit, so erstaunt es kaum, daß auch die Bruderschaften in diesen Jahren nur geringen Schaden genommen haben.

Die Benefizien
Dagegen überstanden die Lobbericher Benefizien die Franzosenzeit nur mit etwas Glück. Aufgrund des Auflösungsgesetze  aus dem Jahre 1799 wären sie nämlich beim Tod der an den Altären jeweils angestellten Vikare aufgelöst worden. Die Pfründen, also das dem Benefizium gestiftete Land, wären in diesem Falle säkularisiert und verkauft worden. Da aber die Lobbericher Vikare Dammer, Schmitter und Wijnen zwischen1799 und 1814 nicht gestorben sind, blieben auch die Benefizien von den Auflösungsaktivitäten der Franzosen verschont.

Platte mit dem Bild eines pflügenden Ackerers und St. Petrus
Umschrift: Der Pflug und Bauer allein erhält Kaiser, König, Fürst und Welt.
Unterschrift: Petrus Dammer, Halfmanns Sohn des Rittersitzes Ingenhoven zu Lobberich, Junggesellenkönig im Jahre 1788.
Chronogramm: 1788 (d. h. die groß geschlagenen Buchstaben in der Schrift sind römische Zahlzeichen, sie ergeben in der Summe die angegebene Jahreszahl.)

Die Platte des Petrus Dammer ist eines der prachtvollsten Exemplare des Königssilbers der Marienbruderschaft.

Die Königsinsignien Kreuz, Apfel und Krone erinnern an die Herrschaftszeichen der deutschen Könige seit dem Hochmittelalter.

Die Bruderschaften waren von Anfang an hierarchisch gegliedert; sie waren Abbild des fürstlichen Hofes, in dessen Stadt sie entstanden waren. Andererseits waren sie insofern demokratisch, als ihr "König" auf eine gewisse Zeit begrenzt gewählt wurde: er galt für die Zeit seiner "Herrschaft" als primus inter pares (Erster unter Gleichen), der vornehmlich für das Wohl des Ganzen zu sorgen hatte. Symbolisch ist die Königsrolle auch dadurch erhalten geblieben, daß der Schützenkönig zum Fest des Namenspatrons von den Brüdern abgeholt wird: er hält Hof.

Den Spruch, den Petrus Dammer auf dieser Silberplatte aufgebracht hat, deutet auf ein gewandeltes, weil gewachsenes Selbstbewußtseins der Bauern bezüglich ihrer Rolle in der Gesellschaft hin: Sie sehen sich als die Garanten dafür, daß das Zusammenleben der Menschen funktioniert. Zwar wäre es übertrieben zu behaupten, diese Platte sei ein Dokument für die Sympathie mit radikalen Zielen der Französischen Revolution, aber sie ist doch ein Zeichen für ein gewisses Streben nach "Befreiung aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit" (Kant), also für das Wirken bestimmter Ideen der Aufklärung. In diesem Zusammenhang dürfte auch der Einfluß der benachbarten Niederlande, die sich Ende des 16. Jahrhunderts die Freiheit von der spanischen Herrschaft erkämpft hatten, eine Rolle gespielt haben. Der Spruch umrahmt das Bild des Namenspatrons des Königs, des hl. Petrus, und eines Ackerers, der zwei Pferde führt. Die Pferde ziehen einen Pflug hinter sich her.

In der Unterschrift bezeichnet der Stifter der Platte sich als "Halfmans Zoon", d. h. als Sohn eines Bauern, der für den Besitzer eines großen Hofes das Land bestellte und dafür die Hälfte des Ertrages als Lohn erhielt. Peter Dammer war später Erbpächter des Gutes Ingenhoven (also wahrscheinlich ebenfalls "Halfmann") und hat das Gut 1820 vom Bocholtz'schen Erben Maximilian Josef von Bentinck gekauft.

Platte mit dem getriebenen Bild der Taufe Christi.
Umschrift: (Anfang über der Johannes Figur). Dieser ist mein geliebter Sohn, woran viel Wohlgefallen hab. Math. C 3 3, V 17.
Unterschrift: Heiliger Johannes, liebster Patron, schütze väterlichst das Pflegekind Heinrich Haanen, Junggesellenkönig zu Lobberich.
Chronogramm: 1780 (d. h. die groß geschlagenen Buchstaben in der Schrift sind römische Zahlzeichen, sie ergeben in der Summe die angegebene Jahreszahl.)
Anmerkung: Heinrich Haanen war später, 1800, "Maire" und sodann Bürgermeister zu Lobberich bis 1823, gestorben 1847.

Schulwesen und Armenfürsorge

Liberalisierung der Gesellschaft

Beschwerde des Rheydter Pfarrers

Das 19. Jahrhundert

Mit der Rückkehr Preußens ins Rheinland ab 1815 waren auch für die Bruderschaften erhebliche Veränderungen verbunden.

Der Aufbau eines staatlichen Schulwesens und die Übernah me der Gehaltszahlungen an die Lehrer durch den Staat enthob die Bruderschaften der Aufgabe, den örtlichen Lehrer (um 1815 hatte diese Funktion Vikar Schmitter inne) finanziell zu unterstützen. Die Entwicklung der staatlichen Armenfürsorge betraf ebenfalls einen Bereich, in dem die Kirche und die ihr verbundenen Bruderschaften bis dahin aktiv gewesen waren. Zudem übernahm die Pfarre die Unterhaltung und Verwaltung der Altarstiftungen. So reduzierte sich der kirchlich-karitative Aufgabenbereich der Bruderschaften im 19. Jahrhundert erheblich.

Erhalten blieb die Sorge für das Begräbnis und die Ehrung der Toten, die sonntägliche Bruderschaftsmesse, das Patronatsfest sowie das Schützenfest und das sonstige gesellige Leben.

In dieser Zeit sind überall im Rheinland Tendenzen erkennbar, die eine Verweltlichung der Bruderschaften andeuten, die über das durch die Reduzierung der kirchlich-karitativen Aufgaben zu erwartende Maß weit hinausgehen. In vielen Bruderschaften setzte ein erheblicher Mitgliederschwund ein, da die persönliche Bindung des Einzelnen an die Kirche in der Folge der Liberalisierung der Gesellschaft mehr und mehr verlorenging. Daraus zogen natürlich einige Bruderschaften ihre Konsequenzen. Die Düsseldorfer Sebastianer lösten sich z. B. 1847 auf und gründeten sich als weltliche Schützenbruderschaft neu. Ihre Aufgabe sahen sie fortan in der Förderung patriotischen und nationalistischen Gedankenguts. Die religiöse Bindung hatten sie völlig aufgegeben. Selbst dort, wo man einen derart radikalen Schnitt nicht vornahm, war das Gelage der neue Interessenschwerpunkt der Brüder.

Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang ein Zeugnis aus Rheydt aus dem Jahre 1837. Pfarrer Aussen schreibt in einem Brief an den Erzbischof von Köln, nach der heiligen Messe am Fest des Hl. Matthäus gingen die Brüder zusammen in eine Kneipe und tränken dort bis spät in die Nacht hinein. "Sie verlassen die Kneipe erst, wenn sie gesoffen und gerauft haben und einige so betrunken sind, daß sie nach Hause getragen werden müssen."

Und in Lobberich?

Mag dies auch aufgrund der weiterhin recht engen Bindung der Bruderschaften an die Kirche in Lobberich nicht in so drastischer Form aufgetreten sein, so läßt sich aber auch hier nicht bestreiten, daß mit dem Verlust kirchlich?karitativer Aufgaben eine Veränderung der Prioritäten einherging. Eine immer wichtigere "gesellschaftliche" Aufgabe wurde die Veranstaltung von "guten" Schützenfesten, während sich die religiöse Komponente hauptsächlich in der Festmesse der Sebastianer am Patronatsfest und in der Begleitung der Fronleichnamsprozession manifestierte.

Die Insignien der Würde: Königsvogel (Papagei) der St. Marien-Junggesellenbruderschaft und Stäbe von König und Minister. (Der Königsstab - unter dem Vogel - wurde gestiftet von Johann Schmitz, dem Junggesellenkönig von 1897).

Resümee

Am Beispiel der Lobbericher Bruderschaften wird deutlich, wie sich äußere Veränderungen in Herrschaftsverhältnissen und Gesellschaft, wenn auch manchmal mit zeitlicher Verzögerung, im Leben und im Selbstverständnis der Menschen direkt niederschlagen. Der Wandel der Bruderschaften von religiösen Verbrüderungen aus der Sorge um das ewige Leben im späten Mittelalter bis zu weltlichen Schützenbruderschaften mit kirchlicher Verwurzelung dokumentiert auch eine allgemeine historische Entwicklung, die sich (bei genauerem Hinsehen deutlich erkennbar) auch in unserer Zeit fortsetzt. Insofern versteht nur derjenige die Gegenwart, der auch die Vergangenheit kennt.

Weiterführende Literatur:

  • DOHMS, Peter: Lobberich. Geschichte einer niederrheinisehen Gemeinde, Kevelaer 1982 (Schriftenreihe des Kreises Viersen 33)

  • DORS, Klaus Johannes: Die Sebastianus?Pfarre zu Lobberich und ihr Archiv. in: Heimatbuch (HB) 1973 d. Kreises KempenKrefeld, S. 214?219

  • FINKEN, Johann: Geschichte der ehemaligen Herrlichkeit Lobberich, Lobberich 1902

  • FÖHL, Walter: Zur Geschichte des Schützenwesens im Landkreise, in: HB 1963 des Grenzkreises Kempen?Krefeld, S. 62?65

  • GERTEIS, Klaus: Die deutsche Stadt in der frühen Neuzeit. Zur Vorgeschichte der bürgerlichen Welt. Darmstadt 1986

  • ISENMANN, Eberhard: Die deutsche Stadt im Spätmittelalter: 1250?1500. Stuttgart 1988

  • LEXIKON des Mittelalters, Bd. 2 München 1983

  • LEXIKON für Theologie und Kirche, Bd. 8 Freiburg 1963

  • OPTENDRENK, Theo (Hrsg.): Lobberich. Ein Kirchspiel an der Nette. Nettetal 1987

  • OPTENDRENK, Marcus: Die Säkularisation in Lobberich. in: HB 1991 d. Kreises Viersen, S. 105?114

  • SCHNEIDER, Andreas: Der Niederrheinisch?Westfälische Kreis im 16. Jahrhundert. Geschichte, Struktur und Funktion eines Verfassungsorgans des alten Reiches. Diss. Düsseldorf, Düsseldorf 1984

  • SPERBER, Jonathan: Popular Catholicism in NineteenthCentury Germany, Princeton (USA) 1984

  • VIERSENER Urkundenbuch. Quellen und Regesten zur Geschichte von Viersen, Dülken, Süchteln und Boisheim (1080 ? 1500), bearb. von Franz-Josef Donner, Karl L. Mackes und Arie Nabrings, Viersen 1990


Die Geschichte St. Sebastianus  und St. Marienbruderschaft nach1900


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