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Donnerstag, 20. Dezember 1990


Durch das Tor der Erlösung in das Gotteshaus


Unter Verwendung des alten Stahlrahmens wurde das neue Portal in vier Felder geteilt, von denen die beiden oberen Felder im Normalfall geschlossen bleiben. Die ganz in Bronze gefertigte Außenseite zeigt sechs Reliefs, während auf der kupferbeschlagenen Innenseite zwei Bronzereliefs zu sehen sind.

Paul Brandenburg kam es darauf an, in aussagekräftigen und zugleich einfachen, aber nicht platten Bilden sowohl den anzusprechen, der in die St. Sebastiankirche eintreten will, als auch den Passanten, der im Überqueren des Kirchplatzes das Portal nur flüchtig zur Kenntnis nimmt. Beide sollen von der Botschaft des Portals angesprochen werden.

Das Portal ist darüber hinaus auch Bindeglied zwischen "Welt" und "Kirche", zwischen "Zeit" und "Ewigkeit": man verlässt die Hektik des Alltags, wenn man, zu welchem Zweck auch immer, ein Gotteshaus betritt. Was lag da näher, als dem neuen Portal die Geschichte Gottes mit den Menschen, die Heilsgeschichte, als großes Thema aufzutragen?

Diese Geschichte ist im Wesentlichen von zwei Grunderfahrungen des Menschen geprägt, die sich mit den Begriffen "Schuld" und "Erlösung" umschreiben lassen.

Folgerichtig hat Brandenburg auch im Rückgriff auf die biblisch begründete Tradition des Mittelalters den linken Portalflügel als das "Tor der Sünde" bezeichnet, während der rechte Türflügel das "Tor der Erlösung" ist:

der Evangelist Matthäus bezeichnet in seiner Schilderung des Weltgerichtes die zur Rechten Christi, des Weltenrichters, Stehenden als die, "die von meinem Vater gesegnet sind" (Mt. 25, 34), während die zur Linken des Weitenrichters dem Fluch des Feuers verfallen sind (vgl. Mt. 25, 41).

Sogar technische Details wurden in diese Konzeption mit einbezogen. Im Normalfall ist der linke Türflügel festgestellt, während sich der rechte öffnen lässt: durch das Tor der Erlösung tritt man in das Gotteshaus ein.

Ganz in der Tradition des Mittelalters lassen sich in den Vertikal- und Horizontal- wie auch den Diagonalverbindungen der einzelnen Bilder auf der Außenseite Bezüge und Entsprechungen entdecken. Begleitet werden die Reliefs, die von links oben ab gegen den Uhrzeigersinn nach rechts oben zu lesen sind, jeweils von Zitaten aus der Heiligen Schrift.

Das Tor der Schuld

Die Schilderung der Heilsgeschichte beginnt auf dem Tor der Schuld mit der Darstellung des Brudermordes der Söhne Evas: Kain ermordet seinen Bruder Abel, während im Hintergrund noch das Opferfeuer des Abel brennt: sein Opfer wurde von Gott angenommen.

Gleich zu Beginn der Menschheitsgeschichte bekommen wir es mit einem Thema zu tun, das sich bis heute wie ein roter Faden durch diese Geschichte zieht: auf Neid, Eifersucht und Rivalität folgt schließlich Gewalt, die oft genug bis zum Äußersten, bis zum Mord geht.

Gott fragte seinerzeit den Bauern Kain, wo sein Bruder, der Schafhirte Abel, sei. Die Antwort des Mörders Kain könnte auch von uns stammen: "Bin ich der Hüter meines Bruders?" (Gen 4,9) Abel, der unschuldig Gemordete, wird zum Vorbild Christi: er ist niedergestürzt wie Christus beim Fall unter dem Kreuz während der Passion. Seine Hände hat Paul Brandenburg gleich denen des Christus an der Geißelsäule unten auf dem rechten Portalflügel gestaltet: sie sind gefesselt.

"Wer sich nicht radikal dem Liebesgott Christi unterordnet", sagt Brandenburg zu dieser Szene, "der steht in der Nachfolge Kains und steht auch heute noch unter dem Fluche des Brudernordes. Gottesliebe ist nicht von Menschenliebe zu trennen".

Mit der zweiten Szene greift der Künstler ebenfalls ein uraltes und zugleich hochaktuelles Thema in der Menschheitsgeschichte auf, das mit dem ersten korrespondiert. Während Moses auf dem Berg Horeb in den Zehn Geboten den Bund Gottes mit dem Volk Israel empfängt, haben sich die Israeliten mit dem Goldenen Kalb bereits einen eigenen Götzen geschaffen, um den sie nun herumtanzen. Kaum ist der Bund mit Gott geschlossen, wird er auch schon wieder durch menschliches Verschulden gebrochen:

Schaut man sich nun in der Gegenwart um, wird man nichts anderes feststellen: auch wir tanzen fleißig mit um das Goldene Kalb. Wurde damals ein junger Stier als Symbol der Kraft und Stärke auf den Sockel gehoben, so hat sich das bis heute in unserem Streben nach Kraft, Stärke, Macht, Einfluss und beruflicher Karriere nur der äußeren Form nach geändert. Wie seinerzeit der Bund Gottes mit den Israeliten in die Brüche ging, so zerbrechen auch wir heute noch den Bund Gottes mit uns Menschen, indem wir selbstgemachte Götzen verehren, die viele Gesichter haben können: Alkohol, Fernsehen, Geld, Sex, Drogen, Konsum um jeden Preis. Wenn wir diesen Kreislauf nicht durchbrechen, dann sind wir letztendlich eine der Gestalten, die sich an das versklavende Götzenbild klammern und nicht an das erlösende Kreuz Christi auf der gegenüberliegenden Hälfte des Portals; dann trifft auch auf uns der Ausspruch des Propheten Jeremia zu, der unter der Szene zu lesen steht: "Mein Volk hat mich vergessen". (Jer 2, 32)

"Verstoßung Christi, Ecce Homo und Geißelsäule" - diese dritte Szene verbindet im Grunde beide Portalflügel miteinander.

Die Juden kannten die grausame Strafe der Kreuzigung nicht; sie mussten erst einmal jemanden aus ihrer Gemeinschaft verstoßen, damit die Römer als Besatzungsmacht diese bestialische Hinrichtung durchführen konnten.

So zeigen sie alle mit dem Finger auf den Sündenbock, ein Vorgang, den man heute ständig beobachten kann: Jede Gesellschaft hat ihre Außenseiter und ihre Sündenböcke. Kein Geringerer als Christus selbst erklärt sich mit ihnen solidarisch und reiht sich unter diese Verachteten und Gemiedenen mit ein.

Christus, der "seinen Mund nicht öffnet wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird", wie es der Prophet Jesaja im Alten Testament vorausgesagt hat (Jes 53,7), wird damit zum Gegenbild des Stieres, der als Symbol von Kraft und Stärke umtanzt wird. Aus dem "Vierten Lied vom Gottesknecht" des Jesaja stammt auch der Begleittext dieses Bildes: "Er hat unsere Krankheiten getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen" (Jes 53,4).

Zwischen den Juden, denen, die Christus aus ihrer Mitte ausgestoßen haben, und ihm steht die Geißelsäule, auf der wiederum der Hahn der Verleugnung des Petrus sitzt. Dieser Hahn ist auch der Schlüssel zum Verständnis der Geißelsäule, die gleichzeitig den Türgriff zum Öffnen des Portals bildet. In der Passion verleugnet Petrus den Jesus dreimal, bevor ein Hahn krähte: "Ich kenne diesen Menschen nicht!" (Mt 26, 74) Doch schon bald darauf erkennt Petrus seine Schuld und "er ging hinaus und weinte bitterlich". (Mt 26, 75)

Wir oft haben wir selbst diesen Satz schon im Munde geführt, haben andere abgestempelt und "im Regen stehen lassen"? Wir müssen aber, wie Petrus, dazu kommen, unsere Schuld zu bekennen; ohne dieses Schuldbekenntnis, wie es zu Beginn jeder Messfeier gesprochen wird, haben wir keine Teilhabe am Geheimnis der Erlösung. Deshalb muss jeder, der in die Kirche hinein will, die Geißelsäule mit dem Hahn anfassen, er muss sich handgreiflich zu seiner Schuld. bekennen.

Das Tor der Erlösung

Im Mittelpunkt des Erlösungstores steht die Kreuzigungsszene. Der Apostel Paulus schreibt in seinem Brief an die Epheser: "In ihm (Christus) besitzen wir die Erlösung durch sein Blut, das er auf uns überströmen ließ". (Eph 1, 7) Das Bild zeigt diese Gnadenströme, die vom Kreuz herab auf die darunter versammelte Menschheit niedergehen. An uns ist es, sich ebenfalls darunter zu stellen, sich in dieser überströmenden Gnade geradezu zu waschen, wie es etwa die Gestalt ganz links tut. Trotz aller Verstrickung in Sünde und Schuld sind wir dazu eingeladen. Wenn Christus sagt: "Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen" (Joh 6, 37), dann ist wirklich jeder willkommen, wenn er sich nur auf den Weg macht.

Deshalb ist auch genau auf Augenhöhe eine Lücke in der Menschenmenge zu erkennen, die um das Kreuz herumsteht: an dieser Stelle kann sich ein jeder einreihen.

So steht das Kreuzigungsbild auch im Gegensatz zum Relief vom "Tanz um das Goldene Kalb" auf der anderen Seite: vor lauter Eifersucht und Neid in der "geschlossenen Gesellschaft" der wild-ekstatisch um das Kalb Tanzenden ist da kein Platz mehr für andere. Wie ruhig und gefasst, aber dennoch sehnsüchtig stehen da die Menschen unter dem Kreuz ihres Erlösers Jesus Christus und waschen sich in seinem Blut?

Der Gekreuzigte blickt derweil gen Himmel - in stillem Zwiegespräch mit seinem Vater: "Es ist vollbracht; Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist". (Joh 19,30/Lk 23, 46) Was da vollbracht ist, verdeutlicht der Begleittext aus dem Propheten Jeremias unter der Szene: "Ich reinige sie von all' ihrer Schuld". (Jer 33, 8)

Der Seher Johannes hat auf der Insel Patmos die in seiner Geheimen Offenbarung niedergelegte Vision vom himmlischen Jerusalem. Diese neue Herrlichkeit beschreibt er wie eine Sonne, während er vor dem Thron Gottes ein geschlachtetes Lamm sieht: "Selig, die zum Hochzeitsmahl des Lammes geladen sind". (Offb 19, 9) Wir sind diese Geladenen; wir brauchen dazu nur unsere Schuld zu bekennen und durch das Tor der Erlösung in die Gemeinschaft der Kirche einzutreten. Am Altar, dem Mittelpunkt des Gotteshauses und damit auch der christlichen Gemeinde, fällt unsere irdische Zeit mit der Ewigkeit Gottes zusammen: wir werden zum neuen Menschen gewandelt; ebenso wird unsere Welt, die wir in unseren Gebeten und Gaben mit vor den Altar bringen, zu einer neuen Welt gewandelt. Dementsprechend lautet auch der Begleittext aus der Geheimen Offenbarung des Johannes: "Siehe, ich mache alles neu". (Offb 21, 5) Der Mord Kains an Abel in gleicher Höhe auf dem Tor der Schuld daneben zeigt das Bild unserer Welt; das himmlische Jerusalem auf dem Tor der Erlösung ist der Gegenentwurf Gottes dazu.

Die Innenseite

Die kupferbeschlagene Innenseite des Portals fasst die Themen der Außenseite noch einmal in zwei Bronzereliefs zusammen.

Auf der Rückseite des Erlösungstores findet sich das Lamm aus dem Gleichnis vom guten Hirten, das sich unter die Dornen verirrt hat.

Der aus der Kirche herausgehende Messbesucher sieht nun, wenn man, vom Tisch des Herrn, vom himmlischen Gastmahl, kommend wieder in die Weit tritt: Wir verirren uns immer wieder von Neuem in unseren Schwächen und festgefahrenen Gewohnheiten und sind sowie das Lamm unter den Dornen. Fasst man den Türgriff auf der Innenseite des Portals an, so greift man in die Dornen: wir werden schmerzlich an das erinnert, was uns "draußen", in der Welt, wieder erwartet. Doch findet der Begleittext aus dem Propheten Jesaja "Wie Schafe irrten wir alle umher; jeder ging seinen eigenen Weg". Seine Fortsetzung auf der Rückseite des Tores der Schuld: "Er (Gott) aber legte auf IHN die Sündenschuld von uns allen" (Jes 53, 6). Über dem Text findet sich dann ein Bild Johannes' des Täufers bei der Taufe Jesu im Jordan.

Neben der schier aussichtslosen Verstrickung in Sünde und Schuld nun wieder ein Wort der Hoffnung. Christus selbst ist es, der sich an unserer Stelle der Bußtaufe des Johannes unterzieht. Und dieser bekennt freimütig:"Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt". (Joh 1, 29)

So schließt sich wieder der Themenkreis mit der Vorderseite des Tores der Erlösung, das oben rechts eben dieses Lamm Gottes aus der Offenbarung des Johannes zeigt. Die Taufe wird hier auch für den in Erinnerung gerufen, der die Kirche wieder verlässt: er soll sich seiner Verantwortung als Christ in dieser Welt bewusst werden, die er mit dem Empfang der Taufe übernommen hat.

Die Türgriffe am Windfang und der brennende Dornbusch

Wenn er das Tor der Erlösung von außen her passiert hat, stößt der Besucher am Windfang auf bronzene Türgriffe, die Moses vor dem brennenden Dombusch zeigen:

"Leg' deine Schuhe ab, denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden" (Ex 3, 5). Das Sakramentshaus unter dem Baldachin am anderen Ende der Kirche in der Apsis, auf das nun durch den Mittelgang der Blick frei wird, stellt ebenfalls den brennenden Dornbusch dar: Ort der Gegenwart Gottes. Hier ist Gott unter uns und spricht uns, wie seinerzeit dem Moses, zu: "Ich bin der, der immer hilfreich bei euch ist", (Ex 3, 14).

Eine ungeheure Verheißung, die bekrönt wird durch das mittlere Chorfenster, das in der 1954 entstandenen Darstellung des Krefelder Künstlers Josef Strater die Kreuzigung zeigt: Gott gibt seinen Sohn für uns hin. Wir müssen diese Verheißung annehmen; dazu stehen wir nun, nachdem wir auch den Windfang passiert haben, selbst vor dem brennenden Dornbusch, vor Gott, der dort im Sakrament der Eucharistie gegenwärtig ist.
Beim Herausgehen aus der Kirche stößt man auf der Innenseite des Windfangs auf das Bild des Noah mit der Arche. Über der Szene ist ein Regenbogen zu sehen, das Zeichen der Versöhnung Gottes mit der Menschheit.  

Eine Taube bringt den Ölzweig als Zeichen des Friedens: Aufforderung, die in der Kirche gewonnene Erfahrung der Versöhnung Gottes mit den Menschen auch draußen, in der Welt, wie den Ölzweig der Taube weiterzugeben.

Die Arche galt schon bei den christlichen Theologen des Altertums als Sinnbild für die Kirche: hier, in der Gemeinschaft der Christen, ist Platz für jeden; die Getauften, diejenigen also, die in der Taufe den neuen Bund mit Gott eingehen, finden hier Schutz und Geborgenheit. Daran soll das Bild Noahs mit der Arche erinnern, bevor der Gläubige auf das desillusionierende Bild des Lammes unter den Dornen stößt, das ihn mit seiner Mahnung wieder in die Welt entlässt.

Im neuen Hauptportal der Pfarrkirche St. Sebastian haben wir ein großes Glaubenszeugnis vor uns, das einlädt, diesen Glauben mit zu leben. Keine der Gestalten schaut direkt den Betrachter an: Paul Brandenburgers Figuren lenken stets den Blick auf das, was hinter und über diesen Darstellungen steht.

Text: Ulrich Clancett - Fotos (abweichend vom ursprünglichen GN-Artikel): Ursula Esch


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